7. SONNTAG IM JAHRESKREIS

Lesungen:

Erste Lesung aus dem Buch Levitikus (19,1-2.17-18)

Evangelium nach Mt (5,38-48)

 

Es ist schon lange her, aber aus dem Ethikunterricht ist mir eine Aussage in Erinnerung geblieben, die mir jetzt - nach mehr als vierzig Jahren - beim Lesen des Evangeliums wieder eingefallen ist: Die Gebote sind „Minimal-Forderungen“. Sie sind das Wenigste, das man tut, damit man als „anständiger“ Mensch leben kann. Aber das heißt nicht, dass man deswegen schon ein guter Mensch ist! Es geht um mehr. Ich glaube, das will Jesus uns in seiner Bergpredigt deutlich machen, wenn er z.B. sagt (denken wir an das Evangelium vom letzten Sonntag): Du sollst nicht nur nicht physisch jemanden umbringen, sondern sein Leben auch nicht in irgendeiner anderen Weise beeinträchtigen. Das ist viel mehr als „nicht töten“.

Ähnlich spricht Jesus im heutigen Evangelium, wo er das schwierige Thema von Aggression und Gewalt aufgreift, ein Thema das sehr aktuell ist. Er tut das wieder in einer sehr bildreichen Sprache, vielleicht provozierend-überspitzt formuliert, mit Beispielen aus seinem damaligen Leben. Aber wir sollen nicht bei dem Bild stehen bleiben, sondern versuchen zu verstehen, was er damit eigentlich meint.

Da komm ich wieder auf den Satz aus meinem Ethikunterricht zurück, der dann - im Sinne von Jesus - lautet: „Die Gebote sind Minimalforderungen... der Liebe.

Die Evolutionslehre hat uns deutlich gemacht: Wir Menschen haben in unseren Genen bestimmte Eigenschaften aus dem Tierreich mitbekommen. Wir unterliegen den Gesetzen der Natur. Zu diesen Gesetzen gehört das aggressive Durchsetzen der eigenen Interessen, denn nur so kann das eigene Leben oder das Überleben des Rudels gesichert werden. Im Tierreich gibt es ein eisernes Gesetz: Fressen und gefressen werden. Etwas davon hat der Mensch, der aus dem Tierreich stammt, geerbt. Im Verhalten vieler Menschen ist das deutlich spürbar: Menschen verhalten sich in ihrer Gewaltanwendung oft wie Tiere. „Lass dir nichts gefallen, hau hin!“ Das tun nicht einmal Tiere, denn sie kämpfen nur um ihre nackte Existenz.

Zur Entwicklung des Menschen gehört die Erkenntnis, dass unsere Spezies nur dann überleben kann, wenn sie diesem aggressiven Wesenszug der Evolution Grenzen setzt. Schon im Alten Testamentes hat man dies erkannt und versucht, die Blutrache und Sippenhaftung einzudämmen durch die Regel: „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Wenn dir einer einen Zahn ausschlägt, darfst zu ihm höchstens das Gleiche antun, aber sicher nicht mehr. Der Lauf der Aggression muss ein Ende haben.

Jesus geht aber weiter. Aggression, Hass und Gewalt sollen gestoppt werden durch: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Ganz neu war das nicht, denn dieser Satz kommt auch im Alten Testament im Buch Levitikus vor, aus dem wir in der 1. Lesung einen Abschnitt gehört haben. Aber mit dem „Nächsten“ ist dort gemeint: Der Bruder, der Stammesgenosse, die Kinder deines Volkes. Jesus sprengt diese Vorstellung und versteht unter dem „Nächsten“ jeden Menschen, sogar wenn er dein Feind ist. Jesus begründet die Notwendigkeit dieser Feindesliebe damit, dass Gott „seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und es über Gerechte und Ungerechte regnen lässt.“ „Mache es, handle wie Gott selbst“, sagt Jesus. Nur so kann die Spirale der Gewalt und Aggression durchbrochen werden. Nur so können wir als Menschen existieren.

Machen wir uns nichts vor: irgendeinen Feind hat jeder. Vielleicht ist er hinter der Wohnungstür nebenan, in der streitsüchtigen Frau, der ich jedes Mal ausweiche, um nicht mit ihr in den Aufzug einsteigen zu müssen. Oder in den Leuten, die politisch anders denken, Menschen, die ich vorschnell als Angeber bezeichne und die deshalb meine Feinde sind. Sie und andere, die wir Feinde nennen, gilt es zu lieben. Und auch Paulus hat dieses Anliegen von Jesus sehr ernst genommen, als er sagte: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch Gutes". Den Feind lieben, heißt nicht ihm schöne Gefühle entgegenzubringen, sondern ihm Gutes tun und dadurch irgendwie entwaffnend wirken, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.

Ja, auch der Feind, der „Unsympathler“, auch der, den ich nicht einmal riechen kann, ist ein von Gott geliebter Mensch. Bete für ihn. Durch mein Beten lerne ich, den in meinen Augen schuldig gewordenen Menschen mit neuen Augen, gleichsam mit den Augen Gottes, zu betrachten. Indem ich für meinen Feind bete, werden meine Gefühle ihm gegenüber anders. Ich werde selbst anders.

Als Christen sollen wir versuchen, all den Menschen wohlwollend zu begegnen, die uns im Alltag den Nerv ziehen, dem politischen Gegner freundlich begegnen, sogar für die Islamisten und TerroristInnen beten, die Hass auf unsere westliche Gesellschaft haben und wahllos Menschen töten. Vermehren wir nicht die Gewalt durch Aggressions- und Rachegefühle. Machen wir es wie Gott.

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